- Schweizer Katzenmagazin / Ausgabe Juni/Juli 1999 -

Wir alle kennen das - von einem Einkauf oder einer Postsendung haben wir einen Karton, der, wie so viel anderes “Altpapier”, wieder entsorgt werden muss. Katzenbesitzer/innen, die ihre Katzen so richtig lieben, lassen diesen oder jenen Karton dann eine Zeit lang im Haus stehen, denn es wird für eine Weile der liebste Platz für die Katz’ oder die Katzen-Gang, sofern mehrere Schnurrer zum Haus gehören. Aber nach einer gewissen Zeit beginnt der Karton sein gutes Aussehen zu verlieren, sei es,  weil er letztlich doch zu

klein für die dicken Kater war, die sich allerdings stets mit Erfolg in ihn hineinzwängten, oder weil er dann  doch immer im Weg stand und man im Dunkeln darüberfiel, weil er die „Unart" besass zu wandern. Also, auf in die Altpapiersammlung, denn schliesslich ist ein Karton nichts Wertvolles und irgendwann wird er ja wieder ein Karton - nur in anderer Form, Farbe und Verwendung. Ich lasse es dahingestellt, welche Verwendung für einen Karton wohl die erstrebenswertenste ist, aber eines weiss ich inzwischen sicher: Ein Karton, der so viele glückliche, übermütige, verspielte und schnurrende weiche Fellbündel beherbergen durfte wie mein Karton, den ich im Advent 1997, gefüllt mit feinen Orangen, heimbrachte, wünscht sich immer wieder so ein erfülltes, aufregendes Leben! (Das hat mir mein Karton

vor ein paar Tagen anvertraut... ) Die erste Katze, die er kennen lernte, war meine „Dienstälteste", ein blaues, 10-jähriges Britenmädchen, mein „Äffchen", die ganz vorsichtig nach kurzem Beschnuppern in ihn hineinstieg, einen tiefen Seufzer machte und stundenlang total entspannt darin schlief. Und noch immer ist dieser Karton, der inzwischen gut 17 Monate alt ist, Mittelpunkt in meinem (Katzen-)Haushalt. Einmal wäre

er fast den üblichen Entsorgungsweg nach einer kurzen Lebenszeit von nur drei Monaten gegangen, als meine Freundin Marina während meines Urlaubs für mich als „Dosen und Türöffnerin" und „Oberkatze" einsprang. Sie war sich der Bedeutung des roten Kartons nicht ganz bewusst, er störte, weil er zusammen mit seiner Unterlage, einem kleinen chinesischen Teppich, nie am gleichen Platz blieb. Also nahm sie ihn weg und stellte ihn erst einmal in die Abstellkammer - damit er später entsorgt würde. Als ich wieder zu Hause war, gaben mir meine Katzen unmissverständlich zu verstehen, dass im Wohnzimmer etwas fehlte. Sie rannten immer

wieder über den kleinen Teppich, rollten ihn auf, schauten darunter, setzten sich demonstrativ vor mich hin und maulten. Natürlich, da war doch auf einmal eine leere Stelle - der Karton stand nicht mehr da! Da hatten meine Katzen aber Glück, dass ich diesmal schnell kapierte; aber vielleicht hatte eher ich Glück... Das war vielleicht ein Wiedersehen! Innerhalb weniger Minuten wechselte laufend die Karton-Besatzung, es war ein Kommen und Gehen, ein immer wieder in Besitznehmen und Sichvergewissern, dass ein alter, vertrauter Freund wieder da ist. Und so steht der Karton seitdem hier im Wohnzimmer. Er wechselt weiterhin, zusammen mit dem kleinen Teppich oder allein, seinen Platz, je nachdem, wie derb und heftig die Katzenspiele jeweils mit ihm oder wegen ihm sind. Jede Katze hat ihre eigene Art, sich ihm zu nähern, es sich in ihm wohl gehen zu lassen. “Jeemy", mein roter Maine Coon-Kater, taucht meistens im Karton erst einmal richtig ab, dreht sich mehrmals um die eigene Achse, schmeisst sich auf den Rücken, macht

eine Rolle und steht fast auf dem Kopf, bevor er die richtige Schlummerlage findet. Weil der Karton ein paar kleine Löcher fast am Bodenrand hat, ist da auch Platz, eine Pfote durchzuschieben. Diese Pfote wiederum reizt dann zum Beispiel meinen weissen Briten „Picobello", der noch ein „Halbstarker" ist, daran herumzupföteln und mal hineinzubeissen - und schon ist die beste Balgerei im Gang, aus der im Moment meist noch "Jeremy" als Sieger hervorgeht, weil er sich seinen Platz im Karton nicht streitig machen lässt und schliesslich um einiges schlauer ist als so ein junger „Spund". Die Katzenmädchen sind etwas vorsichtiger und sanfter, wenn es um den begehrten Platz im Karton geht, sie warten oft ihre Chance ab und lassen sich nicht auf einen Streit mit

dem jeweiligen Karton-Gast ein. Ich dachte schon, dass zum Beispiel „Bonnie" und „Whitey", meine zwei jungen Britenmädchen, so gar kein Interesse an dem Karton hätten, aber auch sie haben ihre Karton-Zeiten, meist in der Nacht, was ich feststellen konnte, als ich mal nachts aufstehen musste und noch einen Abstecher ins Wohnzimmer machte.Natürlich ist der Karton nicht permanent besetzt; es fällt mir ein Vergleich ein, wie es bei Kindern oft mit Spielzeug ist: Es kann lange unbeachtet herumliegen oder herumstehen, aber sobald jemand anderer Interesse daran bekundet, wird es auf einmal total interessant für alle anderen. Genauso ergeht es auch dem Karton - eine Weile ist er leer, unausgefüllt, und plötzlich wollen ihn alle in Besitz nehmen. Im Sommer des vergangenen Jahres war es hier noch um einiges lebhafter als es sonst schon ist, denn ich hatte zwei Kitten-Würfe. Der Karton hatte dadurch sozusagen Dauerbesetzung. Er wurde geknufft, gebissen, besprungen, umgedreht, herumgeschleudert und hochkant auf den Kopf gestellt, aber nichts konnte ihn verdriessen. Je mehr Leben um ihn herum war, desto mehr schien er in seinem Karton-Rot zu glänzen und zu strahlen. Er teilte das Spielzeug, das die Katzen ihm voll

Beutestolz zeigten und dort deponierten, mit ihnen. Alles Mögliche und Unvorstellbare fand Platz im Karton: Spielmäuse, echte Mäuse, Papierknäuel, „Trolles" Schmusedecke, Grasbüschel, Bleistifte, Kugelschreiber, Bälle, Futterreste jeglicher Art, Wollsocken und sogar meine längst verloren geglaubte Lieblingskette. Danke, lieber Karton, denn sonst wäre sie sicherlich erfahrungsgemäss (wie schon manch andere meiner kleinen hübschen Sachen) unwiderbringlich und unbemerkt im Staubsaugersack gelandet! Vor ein paar Tagen fand ich sogar einen 50-Franken-Schein im roten Karton. Ich weiss allerdings nicht, aus welcher und wessen Tasche meine stets erfindungsreichen „Tiger" diesen Schein entwendet haben. Das bringt

mich natürlich zum Nachdenken -was soll ich denn „unserem Karton" als Dank für seine Dienste dafür kaufen, da er doch alles hat zum Glücklichsein? Oder wollten meine Katzen einfach dafür sorgen, dass er weiter seine Berechtigung hat und mir, wie es heute so üblich ist, die „Leasing-Gebühr" für ein weiteres Jahr mit ihm entrichten? Wenn aber jemand aus meinem Freundeskreis berechtigten Anlass hat zu behaupten, sie oder er sei bei mir im Haus unbemerkt um 50 Franken erleichtert worden, so gebe ich diesen Schein gern dem rechtmässigen Besitzer zurück!